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Friederike Pezold, ihr/her „Radio Freies Utopia“ und/and „Canale Grande“

Friederike Pezold, ihr/her „Radio Freies Utopia“ und/and „Canale Grande“

Friederike Pezold, ihr „Radio Freies Utopia“ und „Canale Grande“: Großartig! Hut ab und in die Knie! Berlin, München | DE; Wien | AT · 1983 (Filmstills © Friederike Pezold; Tableau © PP · # 2947 · www.ewigesarchiv.at) Friederike Pezold (* 1945) ist imho eine völlig unterschätzte und viel zuwenig wahrgenommene österreichische Videokünstlerin, Filmemacherin und Fotografin. Ihre präzisen SW-Fotoserien mit ihrem eigenen Körper kannte ich seit den 1970-er Jahren, aber den Film „Canale Grande“ sah ich vor einigen Tagen zum ersten Mal – ausgeborgt als DVD von den Büchereien Wien. Ein radikaler, anarchischer, witziger, einfallsreicher und wunderbar ausgestatteter Film (Kamera: Elfi Mikesch), in dem sie ihr 1977 gegründetes „Radio Freies Utopia“ demonstriert. „In Form eines auf den Rücken geschnallten Gestells (mit klobigem Videorecorder, Monitor, Antenne, Anm.) hat die Utopistin bald ein mobiles Fernsehstudio, das sie „von Wirtschaft zu Wirtschaft, von Wohnung zu Wohnung“ trägt, um für Bekannte und Unbekannte selbst gestaltetes Fernsehen zu machen. . .“

Ich habe einige Filmstills des sensationellen, kühnen Films, in dem ua. ein Mann ein Kind zur Welt bringt, hier zusammengestellt und die Texte der DVD-Hülle digitalisiert und unten angefügt. 

Canale Grande (Ö/D 1983)

REGIE UND DREHBUCH: Friederike Pezold; KAMERA: Elfi Mikesch, Wolfgang Pilgrim, Fritz Ölberg; PRODUKTION: Friederike Pezold

MIT: Friederike Pezold, Elfi Mikesch, Ebba Jahn,, Hildegard Westbeld u.v.m.

„Dieser Undergroundfilm versteht sich als Protest gegen eine Normierung der Bilderwelt, als Aufforderung zur radikalen Subjektivität.“

FRIEDERIKE PEZOLD

„Einer der originellsten Filme, die je in Österreich (ko)produziert wurden.“

CHRISTOPH HUBER

„CANALE GRANDE ist eines der geheimen Meisterwerke des österreichischen Kinos, ein Musterbeispiel von subversiver Filmkunst. In dieser Low-Budget-Arbeit

hat die Protagonistin (von Regisseurin Friederike Pezold selbst gespielt) das konventionelle Fernsehen satt und erfindet ihre eigene, höchst persönliche Form des „Nahsehens“. Während Pezolds Handschrift durchaus zeitgenössische Frische aufweist, wohnt den atmosphärischen Stadtansichten eine berührende Zeitkapselqualität inne.“

DIAGONALE-KATALOG 2021 

Folgende Texte aus: Friederike Pezold, Canale Grande, DVD erscheinen in der Edition Der österreichische Film # 365, Hoanzl / Der Standard / filmarchiv austria

Im Nahsehstudio

Friederike Pezolds kauzige Mediensatire „Canale Grande“

Den Fernseher ausschalten wäre: einfach, mutlos, eine Kapitulation. Also übermalt die Protagonistin (von Pezold selbst gespielt) den Bildschirm, auf dem zu scheußlicher Volksmusik geschunkelt wird, mit schwarzer Farbe. So kann keine Scheiße mehr aus der Röhre kommen. Oder besser gesagt: Wenn schon Scheiße, dann die eigene – „mit eigenen Bildern, eigenen Tönen, nach einem eigenen Gesetz“.

Seit den späten 1960er-Jahren agiert Friederike Pezold an der Schnittstelle von bildender, Film/Video- und Medienkunst gegen die Normierung der Bilderwelt. Ihr Vorschlag in Canale Grande ist radikal subjektiv und überaus komisch. Unter dem Namen „Radio Freies Utopia“ (RFU) will sie ihr eigenes Programm machen, „Nahsehen‘ statt Fernsehen, privat produziert und ganz ohne Oberleitung, weil die ja immer dreinredet. Doch erst mal müssen die Produktionsmittel herbeigeschafft werden. Anfang der 1980er-Jahre nimmt die Videoüberwachung auch im öffentlichen Raum von Wien an Fahrt auf, Equipment gibt es also genug, es müsste nur ein wenig umverteilt werden. Nachdem Friederike erfolglos versucht, in Banken, Geschäften und Überwachungszentralen eine Kamera abzustauben, bittet sie auf dem Karlsplatz einen herumstehenden Polizisten um Hilfe beim Abschrauben des Geräts - und wird in die Nervenklinik geschickt.

Wie alles nimmt sie auch diesen Ratschlag wortwörtlich, die Umstände geben ihr recht: Auch im Spital trifft sie auf Monitore und Kameras.

Als ein in der österreichischen Kinogeschichte wenig gezeigtes Ausnahmewerk kommt Canale Grande selbst im Kontext der konzeptuell ausgerichteten Medienkritik seiner Zeit fast wie ein Querschläger daher. Mit anarchischem Witz und einer unbändigen Lust an der visuellen Gestaltung (die Künstlerin zeichnet auch für Kostüm, Ausstattung und Requisite verantwortlich) setzt Friederike Pezold der medialen Massenverblödung ihre kauzig-schillernden Bildfantasien entgegen.

Im heimischen Nahsehstudio ist alles möglich: Männer, die schwanger werden und Babys zur Welt bringen (die Künstlerin spricht sich immer wieder für wieder auch für Geschlechtergerechtigkeit aus), das Erscheinen des Antonin Artaud, Urlaub am Meer ohne Flugangst und lästige Sturmböen, sogar ein Leben nach dem Tod. In Form eines auf den Rücken geschnallten Gestells hat die Utopistin bald ein mobiles Fernsehstudio, das sie „von Wirtschaft zu Wirtschaft, von Wohnung zu Wohnung“ trägt, um für Bekannte und Unbekannte selbst gestaltetes Fernsehen zu machen. Sie müssen der Senderin nur nah sein. Wortwörtlich.

Die mediale Gegenwart kündigt sich in Friederike Pezolds Selbstinszenierungen bereits an - und könnte doch nicht ferner sein.

Bei Radio Freies Utopia reicht notfalls auch ein einziger Zuseher, sei’s auch nur der Berg vor der eigenen Nase.

Esther Buss, Filmkritikerin und Autorin in Berlin.

Modell und Maler: Pezolds feministischer Akt

Bereits in den frühen 70er-Jahren wurde die Beschäftigung mit den neuen Medien - Video, Video-

installation, TV und Videoskulptur – zur zentralen Thematik und künstlerischen Praxis von Friederike Pezold:

„Zu meiner großen Freude stellte ich fest, (...) dass ich gleichzeitig vor und hinter der Kamera stehen konnte (was ich bei Film bisher nicht konnte). (...) Mit Video machte ich das bislang Unmögliche möglich: die Aufhebung der Trennung von Modell und Maler, von Subjekt und Objekt, Bild und Abbild.“

Diese Anschauung - Motor für viele feministische Performancekünstlerinnen, mit dem eigenen Körper eine originäre Selbstdarstellung zu erreichen - war auch für Friederike Pezold alias Pezoldo ein wichtiger Ausgangspunkt ihrer programmatischen Kunst.

Bereits 1977 präsentierte Pezoldo „Radio Freies Utopia“, das ihr ermöglichte, selbstgestaltetes Fernsehprogramm mithilfe eines auf dem Rücken befestigten Gestells persönlich „von Wirtschaft zu Wirtschaft, von Wohnung zu Wohnung‘ zu tragen. Angeödet vom Scheiß im Fernsehen ersetzte sie es durch „Nahsehen“. Konsumentinnen und Konsumenten mussten der Senderin nah sein, persönlich anwesend sein. Aus den vielen Ideen für ihren TV-Kanal entstand mit der Kamerafrau Elfi Mikesch und weiteren Mitstreiterinnen der Spielfilm Canale Grande (1983).

Mit viel Witz und anarchischen Einfällen entwickelt sich ein Mosaik an trashigen und queeren Szenen. (...) Auch heute muss ich noch laut lachen, wenn Pezoldo ihrer Freundin ähnliche Fotos von Hotelanlagen mit Swimmingpool zeigt, um zu fragen, wohin sie denn auf Urlaub fahren wollen. Sie bleiben schließlich in den eigenen vier Wänden und in der Badewanne. Auch diese Aktion ist angewandter Widerstand.

Brigitta Burger-Utzer, „Ray“

In Internetzeiten fast noch subversiver

Canale Grande ist einer der originellsten Filme, die je in Österreich (ko)-produziert wurden. Weil er aber nur extrem selten zu sehen war, blieb er zugleich eines der geheimen Meisterwerke der heimischen Kinogeschichte - was vielleicht nur angemessen ist für ein Musterbeispiel von Film als subversiver Kunst.

Zur Eröffnung wird ein Fernsehbildschirm schwarz übermalt - im Geist der Protagonistin (von Pezold selbst gespielt) glitzert schon die Idee eines alternativen Mediums: Für ihr „Radio Freies Utopia“ will sie Fernsehen durch „Nahsehen“ ersetzen, „weil unpersönlich ist heute eh schon alles“. Frechheit siegt! Friederikes Wohnzimmer verwandelt sich in ein Heimstudio, in dem utopische Fantasien umgesetzt werden:

Ein Mann bringt ein Baby zur Welt, die Reiseabenteuer passieren im Kopf, statt Testbild-Ereignislosigkeit gibt es absurde Performancefestspiele („Nixen beim Wixen“), und in einer Art Grabstein-TV wird sogar über das Leben nach dem Tod berichtet.

Während Canale Grande mit immer neuen Inszenierungsideen verblüfft, wird gegen die Gleichschaltung der

Medien – „egal ob öffentlich-rechtlich oder privat“ – und die „Scheiße“, mit der diese das Publikum berieseln, agitiert: „Macht euren eigenen Scheiß!“

Das Visionäre von Friederike Pezolds verschmitzt-anarchischem Vorschlag ist in Internetzeiten noch augenfälliger geworden. 

Christoph Huber, Diagonale-Katalog 2021 

Friederike Pezold, her “Radio Free Utopia” and “Canale Grande”: Great! Hats off and on your knees! Berlin, Munich | EN; Vienna | AT · 1983 (Film stills © Friederike Pezold; Tableau © PP · # 2947 · www.ewigesarchiv.at) Friederike Pezold (* 1945) is, in my opinion, a completely underestimated and far too little noticed Austrian video artist, filmmaker and photographer. I had known her precise B&W photo series of her own body since the 1970s, but I saw the film “Canale Grande” for the first time a few days ago – borrowed on DVD from the Vienna libraries. A radical, anarchic, funny, imaginative and wonderfully equipped film (camera: Elfi Mikesch) in which she demonstrates her “Radio Free Utopia”, founded in 1977. “In the form of a frame strapped to her back (with a chunky video recorder, monitor, antenna, note), the utopian soon has a mobile television studio that she carries “from business to business, from apartment to apartment,” for both acquaintances and unknowns to make designed television. . .”

I have some film stills from the sensational, bold film in which, among other things. a man gives birth to a child, compiled here and the texts from the DVD case digitized and attached below.

Grand Canal (Ö/D 1983)

DIRECTOR AND SCREENPLAY: Friederike Pezold; CAMERA: Elfi Mikesch, Wolfgang Pilgrim, Fritz Ölberg; PRODUCTION: Friederike Pezold

WITH: Friederike Pezold, Elfi Mikesch, Ebba Jahn, Hildegard Westbeld and many more.

“This underground film sees itself as a protest against the standardization of the world of images, as a call for radical subjectivity.”

FRIEDERIKE PEZOLD

“One of the most original films ever (co-)produced in Austria.”

CHRISTOPH HUBER

“CANALE GRANDE is one of the secret masterpieces of Austrian cinema, a model example of subversive film art. In this low-budget work

The protagonist (played by director Friederike Pezold herself) is fed up with conventional television and invents her own, highly personal form of “close-up viewing”. While Pezold’s handwriting certainly has a contemporary freshness, the atmospheric city views have a touching time capsule quality.”

DIAGONALE CATALOG 2021

The following texts from: Friederike Pezold, Canale Grande, DVD appear in the edition Der österreichische Film # 365, Hoanzl / Der Standard / filmarchiv austria

 

The following texts from: Friederike Pezold, Canale Grande, DVD appear in the edition Der österreichische Film # 365, Hoanzl / Der Standard / filmarchiv austria

In the close-up studio
Friederike Pezold’s strange media satire “Canale Grande”
Turning off the television would be: easy, despondent, a surrender. So the protagonist (played by Pezold herself) paints over the screen, which is swaying to horrible folk music, with black paint. So no more shit can come out of the pipe. Or better said: If it’s shit, then it’s your own – “with your own images, your own sounds, according to your own law”.
Since the late 1960s, Friederike Pezold has been working at the interface between visual, film/video and media art against the standardization of the world of images. Your suggestion in Canale Grande is radically subjective and extremely strange. She wants to make her own program under the name “Radio Free Utopia” (RFU), “close-up viewing” instead of television, privately produced and without any overhead line, because they always interrupt. But first the means of production have to be brought in. At the beginning of the 1980s, video surveillance also gained momentum in public spaces in Vienna, so there was enough equipment, it just needed to be redistributed a little. After Friederike unsuccessfully tries to dust off a camera in banks, shops and surveillance centers, she asks a police officer standing around on Karlsplatz for help unscrewing the device – and is sent to the mental hospital.
Like everything else, she takes this advice literally; the circumstances prove her right: she also encounters monitors and cameras in the hospital.
As an exceptional work rarely shown in Austrian cinema history, Canale Grande almost comes across as a ricochet even in the context of the conceptually oriented media criticism of its time. With anarchic wit and an unbridled passion for visual design (the artist is also responsible for the costume, equipment and props), Friederike Pezold counters the mass media stupidity with her odd, dazzling visual fantasies.
Everything is possible in your home close-up studio: men getting pregnant and giving birth to babies (the artist repeatedly speaks out for gender equality), the appearance of Antonin Artaud, vacations by the sea without fear of flying and annoying squalls, even a life after death. The utopian soon has a mobile television studio in the form of a frame strapped to her back, which she carries “from business to business, from apartment to apartment” in order to make her own television for friends and strangers. You just have to be close to the sender. Literally.
The media present is already announced in Friederike Pezold’s self-stagings – and yet it couldn’t be further away.
At Radio Freies Utopia, if necessary, a single viewer is enough, even if it’s just the mountain in front of your nose.
Esther Buss, film critic and author in Berlin.

Model and painter: Pezold’s feminist act
As early as the early 1970s, the focus on new media – video, video
installation, TV and video sculpture – on the central theme and artistic practice of Friederike Pezold:
“To my great joy, I discovered (…) that I could stand in front of and behind the camera at the same time (something I hadn’t been able to do with film before). (…) With video I made the previously impossible possible: the abolition of the separation between model and painter, between subject and object, image and likeness.”
This view – the driving force for many feminist performance artists to achieve original self-expression with their own bodies – was also an important starting point for Friederike Pezold alias Pezoldo in her programmatic art.
As early as 1977, Pezoldo presented “Radio Free Utopia,” which enabled her to personally carry her own television program “from business to business, from apartment to apartment” using a frame attached to her back. Bored by the crap on TV, she replaced it with “close-up.” Consumers had to be close to the broadcaster and be present in person. From the many ideas for her TV channel, the feature film Canale Grande (1983) was created with the camerawoman Elfi Mikesch and other colleagues.
With a lot of humor and anarchic ideas, a mosaic of trashy and queer scenes develops. (…) Even today I still have to laugh out loud when Pezoldo shows her friend similar photos of hotel complexes with swimming pools and asks where they want to go on vacation. After all, you stay in your own four walls and in the bathtub. This action is also applied resistance.
Brigitta Burger-Utzer, “Ray”

Almost even more subversive in the age of the internet
Canale Grande is one of the most original films ever (co-)produced in Austria. But because it was only seen extremely rarely, it remained one of the secret masterpieces of local cinema history – which is perhaps only appropriate for a prime example of film as subversive art.
At the opening, a television screen is painted over black – the idea of an alternative medium already glitters in the mind of the protagonist (played by Pezold herself): for her “Radio Free Utopia” she wants to replace television with “close-up viewing,” “because everything is impersonal these days anyway “. Insolence wins! Friederike’s living room is transformed into a home studio in which utopian fantasies are realized:
A man gives birth to a baby, the travel adventures happen in the head, instead of test pattern uneventfulness there are absurd performance festivals (“mermaids wanking”), and a kind of gravestone TV even reports about life after death.
While Canale Grande continues to amaze with new staging ideas, there is opposition to the conformity of the system
Media – “whether public or private” – and the “shit” with which they shower the audience agitates: “Do your own shit!”
The visionary nature of Friederike Pezold’s mischievous, anarchic proposal has become even more obvious in the age of the Internet.
Christoph Huber, Diagonale catalog 2021

 

 

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Friederike Pezold, ihr/her „Radio Freies Utopia“ und/and „Canale Grande“

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