Ein (von Cornelius Kolig umgebauter) Rollator und seine „Kontextualisierung“ – kein leichtes Unterfangen. Klagenfurt, Vorderberg | AT · 2010–2022 (Bildnachweise s. Text, Tableau © PP · # 2723 · www.ewigesarchiv.at) Der leicht sperrige Begriff „Kontextualisierung“ taucht seit einigen Jahren öfter auf – insbesondere im Zusammenhang mit umstrittenen Denkmälern, gehäuft zB mit dem Lueger-Denkmal in Wien, das seit Jahren heftig „kontextualisiert“ wird bzw. werden soll oder abgerissen, umgestellt, was auch immer und das derzeit von einer ebenso sperrigen und komplexen Installation „begleitet“ wird – letztere möglicherweise ebenfalls mit Kontextualisierungs-Bedarf. Der Begriff meint schlicht: Etwas – also ein Denkmal, ein Objekt, eine Situation – sollte, bzw. müsste in einen soziohistorischen Zusammenhang gestellt werden. Demnach: das Objekt sollte „begleitet“ werden durch Texte, Bilder, Videos etc. Meint auch, dass Objekte und Bilder alleine missverständlich sein könnten etc.
Im neu renovierten und sehr ambitionierten Museum Kärnten, das am 11. November 2022 nach langjähriger Umbauzeit eröffnet wurde, gibt es einen Bereich, in dem ein bemerkenswertes Objekt, ein „Artefakt“ präsentiert wird: Ein Rollator mit zwei Kunsthänden auf einer Alustange und einer Greifzange. Im Hintergrund eine Luftaufnahme eines städtischen Bereiches. Neben dieser Fläche ein Text in Deutsch, Slowenisch und Englisch „VORDERBERG - EIN PARADIES . .“ (s. unten zum Nachlesen). Der erste Absatz des Textes endet mit „Ziemlich Gail“ – also eine wohl launig ein-/zweideutig gemeinte Anspielung auf das Gailtal, in dem das „Paradies“ von Cornelius Kolig lokalisiert ist. Der Name des Künstlers wird immerhin im zweiten Absatz des vielleicht „poetisch“ zu nennenden Textes genannt. Zum Ausstellungsobjekt selbst fand ich keinerlei museumsübliche Beschriftung – also zB. Name des/der Künstler*in, Titel, Entstehungszeit, Material, Provenienz etc. Aber das wird wohl mittlerweile ergänzt sein. Ich bin nicht sicher, ob aus dem Begleittext der auch politisch brisante Entstehungszusammenhang hervorgeht. Mir erschließt sich auch der Zusammenhang des Objektes mit der beigestellten Luftaufnahme nicht – vielleicht sollte ich mich etwas mehr bemühen.
Dem Objekt gegenüber findet sich eine Medienstation, bei der ein fünfminütiges Video von mir zum „Paradies“ abgerufen werden kann, in dem auch die Künstlerhatz gegen Cornelius Kolig kurz thematisiert wird.
Was hat es jetzt mit dem „Rollator“ – von Cornelius Kolig selbst „Danke!“ betitelt – auf sich? Ein bescheidener Versuch einer „Kontextualisierung“:
Im Buch: Cornelius Kolig, Das Paradies – Die Bedienungsanleitung; Klagenfurt 2013, Ritter Verlag, S. 196 finden sich die Abbildungen, die in der obersten Reihe dieses Tableaus zu sehen sind und folgender Text:
„Danke!“ 2006. Geh- und Sitzhilfe mit zwei Kunsthänden und zwei Greifzangen für eine distanzierte Entgegennahme von Auszeichnungen.“
Der Hintergrund: Cornelius Kolig wurde 2006 mit dem Kulturpreis des Landes Kärnten ausgezeichnet, die Übergabe sollte durch den damaligen Landeshauptmann Jörg Haider geschehen – der gleiche Jörg Haider, der ihn in einer infamen Kampagne von Kronen Zeitung und FPÖ Kärnten als „Fäkalkünstler“ diffamiert hatte und auf der Straße in Klagenfurt Unterschriften gegen ihn gesammlet hatte (s. dazu Dokumentation link unt.) Kolig hatte für die Übergabe diesen „Greifzangenapparat“ gebaut, um nicht mit Haider in Berührung zu kommen (s. screenshot kaernten.orf.at rechts oben)
Das große Foto links und das kleine links unten zeigen das Objekt und den Künstler in seinem Paradies in Vorderberg (Aufnahme 2010), das 2. Foto in der untersten Reihe wurde von Ferdinand Neumüller in der Ausstellung in der Galerie Freihausgasse aufgenommen.
Begleittext im Kärnten Museum:
„VORDERBERG – EIN PARADIES. WIE GLAUBWÜRDIG (BEHERZT, INTEGER, MORALISCH, MUTIG, AUTHENTISCH, EHRLICH) SIND WIR?
Worin sich die meisten Kärntner einig sind, ist die allgemein gültige Erkenntnis, man lebe in einem Paradies. Jede Schönheit der Erde auf kleinstem Raum vereint, quasi innerhalb einer Autostunde. Dann kommt ein Grenzberg nach Slowenien, Italien, Salzburg und Steiermark. Nur nach Osttirol gelangt man durch einen unendlich engen Schlurf, durch den allerdings ein wunderbarer Kärntner Fluss fließt. Ziemlich Gail!
Das Land selbst als Kunstwerk der Natur erschwert den Bedarf an Kunst durch den Künstler: eh schon olles do. Tatsächlich existiert auch ein realer Ort mit dem Namen Paradies, der allerdings nicht von Gottes Hand, sondern der eines Künstlers geschaffen wurde. Cornelius Kolig erschafft auf einem Fleckchen Erde des gesamtkärntnerischen Paradieses sein eignes, was folgerichtig erscheint, entpuppen sich doch die restlichen Paradiesbewohner als recht kritische Beobachter seines Weltbildes. Diesen Widerstand gegenüber einer Denkweise, die die Konvention hinterfragt, sie auf einen Prüfstand stellt, sie umdreht und ihr so den Spiegel vorhält, erfahren viele Künstler in diesem Land. Vielleicht ist gerade das der Grund, warum das Land viele Künstler eben aus diesem Widerstand heraus gebiert, die sich entweder in ihre eigenen Paradiese zurückziehen oder ins entfernte Ausland absetzen, wo sie sich – gestählt durch die hiesige Engstirnigkeit - leicht in ihrer Entwicklung tun und große Erfolge erringen. Dankbarkeit gebührt jedenfalls denen, die hierbleiben oder zurückgekehrt sind, sich selbst ein hohes Niveau zu setzen im Stande sind - denn das Umgebende ist es nicht – und den hier ansässigen Paradeisern stetig den absolut notwendigen kulturellen, moralischen, intellektuellen und ästhetischen Maßstab geben.“ Texttafel Museum Kärnten. 20.11.2022
A rollator (converted by Cornelius Kolig) and its “contextualization” – not an easy task. Klagenfurt, Vorderberg | AT · 2010–2022 (photo credits see text, tableau © PP · # 2723 · www.ewigesarchiv.at) The slightly cumbersome term “contextualization” has been appearing for a number of years – especially in connection with controversial monuments, frequently with the Lueger, for example -Memorial in Vienna, which for years has been or is to be heavily “contextualized” or demolished, rearranged, whatever and which is currently “accompanied” by an equally bulky and complex installation – the latter possibly also in need of contextualization. The term simply means: Something – a monument, an object, a situation – should or must be placed in a socio-historical context. Accordingly: the object should be “accompanied” by texts, images, videos, etc. Also means that objects and images alone could be misleading, etc.
In the newly renovated and very ambitious Museum Carinthia, which opened on November 11, 2022 after many years of renovation, there is an area in which a remarkable object, an “artefact” is presented: A walker with two artificial hands on an aluminum pole and a pair of tongs . In the background an aerial view of an urban area. Next to this area a text in German, Slovenian and English “VORDERBERG – A PARADISE . .” (see below for further reading). The first paragraph of the text ends with “Pretty Gail” – a probably humorous allusion to the Gailtal, in which Cornelius Kolig’s “paradise” is located. After all, the name of the artist is mentioned in the second paragraph of the text, which could perhaps be called “poetic”. I couldn’t find any inscriptions customary in a museum for the exhibit itself – e.g. Name of the artist, title, time of origin, material, provenance etc. But that will probably have been added by now. I’m not sure whether the accompanying text reveals the politically explosive context in which it came about. I also don’t understand the connection between the object and the aerial photo provided – maybe I should try a little harder.
Opposite the object there is a media station where a five-minute video of me on “Paradise” can be called up, in which the artist hate against Cornelius Kolig is also briefly discussed.
What is the “Rollator” – which Cornelius Kolig himself called “Thank you!” – all about? A modest attempt at “contextualization”:
In the book: Cornelius Kolig, The Paradise – The operating instructions; Klagenfurt 2013, Ritter Verlag, p. 196 contains the illustrations that can be seen in the top row of this tableau and the following text:
“Thank you!” 2006. Walking and sitting aid with two artificial hands and two gripping tongs for a distanced acceptance of awards.”
The background: Cornelius Kolig was awarded the Culture Prize of the State of Carinthia in 2006, the handover was to be done by the then Governor Jörg Haider – the same Jörg Haider who had defamed him as a “faecal artist” in an infamous campaign by Kronen Zeitung and FPÖ Carinthia and had collected signatures against him on the street in Klagenfurt (see documentation link below). Kolig had built this “gripper device” for the handover in order not to come into contact with Haider (see screenshot kaernten.orf.at top right)
The large photo on the left and the small one on the bottom left show the object and the artist in his paradise in Vorderberg (photograph 2010), the second photo in the bottom row was taken by Ferdinand Neumüller in the exhibition in the Freihausgasse Gallery.
Accompanying text in the Carinthia Museum:
“VORDERBERG – A PARADISE. HOW CREDIBLE (BOLD, INTEGER, MORAL, COURAGEOUS, AUTHENTIC, HONEST) ARE WE?
What most Carinthians agree on is the generally valid knowledge that one lives in paradise. Every beauty on earth combined in a small space, within an hour’s drive. Then comes a border mountain to Slovenia, Italy, Salzburg and Styria. You can only get to East Tyrol through an infinitely narrow slurp, through which a wonderful Carinthian river flows. Pretty Gail!
The country itself as a work of art of nature complicates the need for art by the artist: eh already olles do. In fact, there is also a real place called paradise, which was not created by God’s hand, but by an artist. Cornelius Kolig creates his own piece of land in the Carinthian paradise, which seems logical, since the rest of the inhabitants of paradise turn out to be quite critical observers of his worldview. Many artists in this country experience this resistance to a way of thinking that questions convention, puts it to the test, turns it on its head and thus holds up a mirror to it. Perhaps that is precisely the reason why the country gives birth to many artists precisely out of this resistance, who either retreat to their own paradises or flee to distant countries, where they – hardened by the local narrow-mindedness – develop easily and do great things achieve achievements. In any case, gratitude is due to those who stay here or have returned, who are able to set a high standard for themselves – because the surrounding area is not – and who constantly give the tomatoes living here the absolutely necessary cultural, moral, intellectual and aesthetic standard.” Text panel Carinthia Museum. 11/20/2022