Tactiles. Eine Werkreihe von Cornelius Kolig aus den 1970-er Jahren. Vorderberg | AT · 2022 (Werke: © C. Kolig · © PP · # 2531 · www.ewigesarchiv.at) „Das ist aus der Reihe der Tastobjekte, wo ich mir einfach überlegt habe, dass die Kunst eigentlich bisher nur optisch funktioniert und eigentlich das Haptische ausspart oder das Olfaktorische und dass eigentlich mehr dazugehört zur Natur, als nur das Schauen. Es gehört das Fühlen dazu, Temperatur, Oberfläche fühlen, das gehört zur Realität mit dazu. Also einfach ein vielsinnliches Erlebnis, als nur aufs Optische beschränkt.“ sagte Cornelius Kolig vor einigen Wochen, im Juni 2022, bei einer Führung durch sein Paradies in Vorderberg in Kärnten, die für mein in Arbeit befindliches neues Video „Cornelius Kolig führt durchs Paradies“ aufgezeichnet wurde. (Kamera und Ton: Patrick Spanbauer und Moni Parii, On Screen)
„Koligs Maschinen sind, Kritisches wie Spielerisches-Hedonistisches in gleichem Maße vereinend, technisch ungemein präzise gefertigt. Der plastische Effekt, das Miteinander der Materialien ist mit großer Sorgfalt beachtet worden und dokumentiert Koligs Faszination gegenüber der „perfekten, industriell gefertigten“ Maschine.
„Tactiles“ sind Reizspender, welche die verschiedensten Formen des Berührens, des Begreifens und Begriffenwerdens, der Druck-, Geruchs-, Temperatur-, Feuchtigkeits- und Reizstromvermittlung wie in einem utopischen science-fiction Massagesalon bereithalten. Die Maschinen erlösen den Betrachter aus seiner passiven Rolle als Zuseher und laden ihn ein, seine Hände zu gebrauchen. Sie simulieren Reize und erinnern an Reize, sie präparieren (das auch) in einer von Reizen überfluteten zivilisatorischen Weit, in der die einzelnen Reize schnell konsumiert und kaum erfahren werden, einzelne Erfahrungen heraus und vermitteln sie.
Peter Weiermair
in: „Cornelius Kolig, Tactiles“, Verlag Allerheiligenpresse, Innsbruck 1977
(Gesamter Text s. u.)
„Die Bloßlegung und Verstärkung des Sinnlichen und damit Vermittelbaren des Lebens, seiner Schönheit und seiner Schrecken, von Wollust und Ekel, von Liebe, Gewalt, Krankheit, Leid, Tod, berauschter Existenzergriffenheit, des Stoffwechsels, der Farben, des Gestankes, der Wohlgerüche, des Tastens, der Freuden des Schmeckens und des Hörens . . . ist Inhalt des „Paradies“-Projektes.“
Cornelius Kolig in „Das Paradies. Die Bedienungsanleitung“ Ritter Klagenfurt, Wien 2013. (904 Seiten)
„Tactiles“ nennt Cornelius Kolig seine neuesten Objekte, welche in viel stärkerem Ausmaß als seine früheren, organisch-technoiden „rationelle Kühle und Perfektion mit einem romantischen Überguß verbindenden Kunststoffarbeiten“ (Sotriffer) instrumentalen Charakter besitzen, sich bewegen und benützen lassen, aber gleichzeitig auch den Betrachter „einspannen“ und damit zu voll funktionsfähigen Apparaten werden. Reizspender nennt Kolig sie, um damit die viel stärkere taktile Qualität zu betonen. Bereits die früheren, mit allen ästhetischen Reizen der neuen Kunststoffmaterialien spielenden Objekte manipulierten den Betrachter, regten ihn an und aktivierten psychomotorische Reaktionen, provozierten Handlungsweisen. Sein damaliges Werk muß in Zusammenhang mit den Arbeiten der Coop-Himmelblau, welche Apparate zur psycho-physischen Entspannung konstruierten oder mit den Vorschlägen der Gruppe „Hausrucker“ gesehen werden, denen es um einen utopisch angehauchten, mit neuen Lebens- wie Verhaltensformen unter Einsatz des neuesten Standes der Technologie spielenden, Kunst und Leben in eins setzenden Kunstbegriff ging. Auch bei diesen 7 neuen Arbeiten Koligs bestätigt sich eine Tendenz, daß Kunst und Nichtkunst in viel stärkerem Maße austauschbar werden, daß der Künstler mit seinen Mitteln die Zeitphänomene glossiert und analysiert... „..the artist defines art less through any intrinsic value of the art net than by furnishing new concepts of life style. (J. O. Hale)"
Die Auseinandersetzung des Künstlers mit der Welt der Maschine ist alt, die Vorstellung vom Künstler als Ingenieur und Verhaltensforscher neueren Datums. Spätestens seit La Mettries „L' Homme machine“ (1747/48) werden menschlicher Organismus und Maschine identifiziert. Im Maschinenzeitalter lebend, bewußt oder unbewußt davon beeinflußt, haben sich Künstler mit der Maschine kritisch und ironisch, aber durchaus auch affirmativ auseinandergesetzt. Für Künstler wie Tinguely oder Calder, aber auch unter den Jüngeren wie Panamarenko, ist die Maschine ein Instrument, welches ihnen erlaubt, poetisch zu sein. Art & Technology-Programme haben versucht, den Künstlern die Scheu vor der Benützung der Technik zu künstlerischen Zwecken zu nehmen. Bei Kolig kommen verschiedenste Momente zum Tragen. Denn seine Maschinen sind auch aus verschiedensten Materialien gefertigte Objekte, deren ästhetischer Charakter gerade durch die Form der Installation zum Ausdruck kommt.
Der Künstler ist mit seinen Reizspendern einerseits utopischer Beglücker, dies muß jedoch andererseits auf den zweiten Blick eingeschränkt werden, da dieses Glück den dunklen Hintergrund einer Huxleyschen „New Brave World“ besitzt: er möchte mit seinen Instrumenten neue körperliche Reize den bereits vorhandenen hinzufügen, allenfalls auch Reize kopieren, vom Menschen auf die Maschine übertragen, zum anderen steht hinter dem unverbindlichen Spielcharakter die mögliche Vorstellung einer terroristischen Wiederholung ad infinitum. Sind diese Instrumente auf den ersten Blick die „guten Maschinen“, welche Fähigkeiten des Menschen ersetzen oder erweitern könnten, so maßen sie sich auch Fähigkeiten an, welche allein im zwischenmenschlichen Bereich existieren. Die Reize, welche sie mit ihrem komplizierten technischen Instrumentarium, ihren auswechselbaren Einsätzen bei ihrer Installation zwischen Turnsaal, Operations- und Folterbank, vermitteln, verraten vorerst nicht den doppelbödigen Spielcharakter und die Anmaßung, präzise und standardisierte Empfindungen zu erzeugen. Die Maschine wird ausschnitthaft zum mechanischen Gegenüber, zum Partner, der einen Katalog taktiler Reize zur Verfügung hält, ohne auf das Gegenüber zu re-agieren. Die Maschine wird zum Automat, der Reize, vorprogrammiert und kalkuliert verteilt. Gerade dieses Herauspräparieren der Reize in ihrer manischen und übersteigerten Form, verbindet ihn, ebenso wie die ingeniöse Technik mit Ungerers „Sexmaniac“, wenngleich der hedonistische Aspekt noch nicht in die Karikatur überschlägt. Momente der Entfremdung und der ewigen Wiederholung, von 'Künstlichkeit und Isolation, eine Welt ausgebeuteter Reize werden „sichtbar. Körperlichkeit, erotische Körperlichkeit wird nur mehr in ihrer pragmatischen Dimension begriffen.
Was Richard Hunt von den Zeichnungen Francis Picabias bemerkt, es gilt auch für Kolig „..to compare mans mans most subtile feelings and his most passionate noble, yet murderous ardor to the movements of a machine is to indulge a very haughty sarcasm and a great deal of auto-irony.“ Die Geliebten werden machbar, „..Wie Kunststoff auf Blaupausen entworfen und eingebaut in Sauerstoffgeräte und Trockenhauben“...hat Walter Killy zu den Zeichnungen Ungerers bemerkt, der Geliebte schrumpft zum komplizierten Mechanismus eines Godemiche. Zu Recht hat Harald Szeemann Koligs Instrumentarium in den Zusammenhang seiner Ausstellung „Junggesellenmaschinen“ hineingenommen, wo sexuelles und mechanisches Vokabular zusammengesehen werden, wo die Maschine zum erotischen Gegenüber wird, zur Projektion kühler Berechnung der zu erwartenden Reize.
Kolig inszeniert diese Mechanik der Reize, wenn er etwa zwei aus Latex gefertigte Brüste auf zwei weich schwingende Podien durch Zu- und Abpumpen von Milch zu wechselnden Erscheinungsformen von Erschlaffen und praller Fülle bringt und zur Berührung einlädt. Er amüsiert sich mit einigen seiner „Bienfaiteurs“ sicher über jene makabre Industrie, welche mechanische Surrogate für den menschlichen Partner anbietet. Indem er jedoch ihren Erzeugnissen durch Transfer in ein anderes Bezugssystem und paraphrasierend den Ersatzcharakter nimmt, reduziert er sie auf ihren realaffinen und abstrakt-analytischen Kerngehalt.
Ein surreales Moment liegt in der ‚Projektion von Erotischem und und Technischem, auf welches bereits die Surrealisten und Duchamp verwiesen haben. Koligs Maschinen sind, Kritisches wie Spielerisches-Hedonistisches in gleichem Maße vereinend, technisch ungemein präzise gefertigt. Der plastische Effekt, das Miteinander der Materialien ist mit großer Sorgfalt beachtet worden und dokumentiert Koligs Faszination gegenüber der „perfekten, industriell gefertigten“ Maschine.
„Tactiles“ sind Reizspender, welche die verschiedensten Formen des Berührens, des Begreifens und Begriffenwerdens, der Druck-, Geruchs-, Temperatur-, Feuchtigkeits- und Reizstromvermittlung wie in einem utopischen science-fiction Massagesalon bereithalten. Die Maschinen erlösen den Betrachter aus seiner passiven Rolle als Zuseher und laden ihn ein, seine Hände zu gebrauchen. Sie simulieren Reize und erinnern an Reize, sie präparieren (das auch) in einer von Reizen überfluteten zivilisatorischen Weit, in der die einzelnen Reize schnell konsumiert und kaum erfahren werden, einzelne Erfahrungen heraus und vermitteln sie.
Peter Weiermair
in: „Cornelius Kolig, Tactiles“, Verlag Allerheiligenpresse, Innsbruck 1977
Tactiles. A series of works by Cornelius Kolig from the 1970s. Vorderberg | AT · 2022 (Works: © C. Kolig · © PP · # 2531 · www.ewigesarchiv.at) “This is from the series of tactile objects, where I simply thought to myself that art actually only works optically and actually that Leave out the haptic or the olfactory and that there is actually more to nature than just looking. Feeling is part of it, temperature, feel surface, that is part of reality. So simply a multi-sensory experience, as limited to the visual,” said Cornelius Kolig a few weeks ago, in June 2022, during a guided tour through his paradise in Vorderberg in Carinthia, which was used for my new video “Cornelius Kolig leads through paradise” which I am currently working on. was recorded. (Camera and sound: Patrick Spanbauer and Moni Parii, On Screen)
“Kolig’s machines are technically extremely precise, combining the critical with the playful and hedonistic in equal measure. The sculptural effect, the interaction of the materials, has been considered with great care and documents Kolig’s fascination with the “perfect, industrially manufactured” machine.
“Tactiles” are stimuli that provide the most diverse forms of touching, grasping and being grasped, the mediation of pressure, smell, temperature, moisture and stimulation currents like in a utopian science-fiction massage parlor. The machines release the viewer from his passive role as a spectator and invite him to use his hands. They simulate stimuli and recall stimuli, they prepare (that too) individual experiences in a civilized world flooded with stimuli, in which the individual stimuli are quickly consumed and hardly experienced, and mediate them.
Peter Weiermair
in: “Cornelius Kolig, Tactiles”, Verlag Allerheiligenpresse, Innsbruck 1977
(Entire text see below)
“The exposure and strengthening of the sensual and thus conveyable of life, its beauty and its horrors, of lust and disgust, of love, violence, illness, suffering, death, intoxicated existential emotion, of the metabolism, the colours, the stench, the pleasant smells, of touch, the pleasures of taste and hearing. . . is the content of the “Paradise” project.”
Cornelius Kolig in “Paradise. The operating instructions “Ritter Klagenfurt, Vienna 2013. (904 pages)
Cornelius Kolig calls his latest objects “Tactiles”, which to a much greater extent than his earlier, organic-technoid “plastic works combining rational coolness and perfection with a romantic overpouring” (Sotriffer) have an instrumental character, can be moved and used, but at the same time “clamp” the viewer and thus become fully functional apparatus. Kolig calls them stimulus donors to emphasize the much stronger tactile quality. Even the earlier objects, which played with all the aesthetic stimuli of the new plastic materials, manipulated the viewer, stimulated him and activated psychomotor reactions and provoked behavior. His work at that time must be seen in connection with the work of the Coop-Himmelblau, which constructed devices for psycho-physical relaxation, or with the proposals of the “Hausrucker” group, which was about a utopian, with new forms of life and behavior using the state-of-the-art technology, combining art and life into one concept of art. These 7 new works by Kolig also confirm a tendency that art and non-art are becoming much more interchangeable, that the artist uses his own means to gloss over and analyze the phenomena of the time… “..the artist defines art less through any intrinsic value of the art net than by furnishing new concepts of life style. (J.O. Hale)”
The artist’s involvement with the world of machines is old, but the idea of the artist as an engineer and behavioral scientist is more recent. At least since La Mettrie’s “L’ Homme machine” (1747/48) the human organism and the machine have been identified. Living in the machine age, consciously or unconsciously influenced by it, artists have dealt with the machine critically and ironically, but also positively. For artists like Tinguely or Calder, but also among the younger generation like Panamarenko, the machine is an instrument that allows them to be poetic. Art & Technology programs have attempted to dispel artists’ fears of using technology for artistic purposes. A wide variety of moments come into play at Kolig. Because his machines are also objects made of a wide variety of materials, whose aesthetic character is expressed precisely through the form of the installation.
On the one hand, the artist with his stimulants is a utopian blissmaker, but on the other hand this must be restricted at second glance, since this happiness has the dark background of a Huxleyian “New Brave World”: he would like to add new physical stimuli to the existing ones with his instruments, if necessary also copy stimuli, transferred from man to machine, on the other hand behind the non-binding game character is the possible idea of a terrorist repetition ad infinitum. If at first glance these instruments are the “good machines” that could replace or expand human abilities, they also assume abilities that only exist in the interpersonal area. The charms that they convey with their complicated technical instruments, their interchangeable inserts in their installation between the gymnasium, the operating room and the torture bench, do not initially reveal the ambiguous character of the game and the arrogance to create precise and standardized sensations. The machine becomes a mechanical counterpart, a partner who has a catalog of tactile stimuli available without reacting to the counterpart. The machine becomes an automaton that distributes stimuli in a pre-programmed and calculated way. It is precisely this preparation of the stimuli in their manic and exaggerated form that connects him, as well as the ingenious technique, with Ungerer’s “Sexmaniac”, although the hedonistic aspect does not yet turn into caricature. Moments of alienation and perpetual repetition, of artificiality and isolation, a world of exploited stimuli become “visible. Physicality, erotic physicality is only understood in its pragmatic dimension.
What Richard Hunt remarks about Francis Picabia’s drawings also applies to Kolig “..to compare mans mans most subtle feelings and his most passionate noble, yet murderous ardor to the movements of a machine is to indulge a very haughty sarcasm and a great deal of auto-irony.” Loved ones become feasible, “…designed like plastic on blueprints and built into oxygen devices and drying hoods”…Walter Killy remarked on Ungerer’s drawings, the lover shrinks to the complicated mechanism of a godemiche.
Harald Szeemann rightly included Kolig’s instruments in the context of his exhibition “Bachelor Machines”, where sexual and mechanical vocabulary are seen together, where the machine becomes an erotic counterpart, a projection of cool calculation of the stimuli to be expected.
Kolig stages this mechanism of stimuli when, for example, he brings two breasts made of latex onto two softly swinging podiums by pumping milk in and out in alternating forms of sagging and fullness and invites them to be touched. He and some of his “bienfaiteurs” are certainly amused by the macabre industry that offers mechanical surrogates for human partners. However, by paraphrasing and paraphrasing their products by transferring them to another reference system, he reduces them to their real-affine and abstract-analytical core content.
A surreal moment lies in the ‘projection of the erotic and technical, to which the Surrealists and Duchamp have already referred. Kolig’s machines are technically extremely precise, combining the critical with the playful and hedonistic in equal measure. The sculptural effect, the interaction of the materials, has been considered with great care and documents Kolig’s fascination with the “perfect, industrially manufactured” machine.
“Tactiles” are stimuli that provide the most diverse forms of touching, grasping and being grasped, the mediation of pressure, smell, temperature, moisture and stimulation currents like in a utopian science-fiction massage parlor. The machines release the viewer from his passive role as a spectator and invite him to use his hands. They simulate stimuli and recall stimuli, they prepare (that too) individual experiences in a civilized world flooded with stimuli, in which the individual stimuli are quickly consumed and hardly experienced, and mediate them.
Peter Weiermair
in: “Cornelius Kolig, Tactiles”, Verlag Allerheiligenpresse, Innsbruck 1977