Seelenfischer*innen und Kriegstreiber*innen. Was tun? Wie weiterleben? Amsterdam | NL; Wien | AT · 1614–2022 (Repro ob.: © Rijksmuseum © PP · # 3012 · www.ewigesarchiv.at) Ich sehe Bilder von zerbombten Städten, Verletzten, Zerfetzten, Überlebenden und zucke zusammen. Hinschauen? Wegschauen? Wie gehe ich damit um? Was tun? Wie gehen andere damit um? Wo sind jetzt die Seelen?
Vor einigen Tagen habe ich den sehr mutigen Rücktrittsbrief von Anna Boyer, der Literaturredakteurin des New York Times Magazins (s.u.) gepostet, daraufhin wurde mir vorgeworfen, „antisemitischen Mist“ zu veröffentlichen. Abgesehen davon, dass der Vorwurf so absurd ist, dass ich dazu gar nicht Stellung beziehe – es ist völlig wurscht, was ich bin und was ich denke, angesichts der gegenwärtigen Grauen und Gräuel und Zerstörungen und Verwundeten und Toten. Und es ändert auch nichts daran, dass ich mir jeden Tag wieder die Frage stelle: Wie weiterleben? Wie mit diesem ungeheuerlichen Geschehen „umgehen“?
Das Bild „Die Seelenfischerei“ (De zielenvisserij / Fishing for Souls) von Adriaen Pietersz van de Venne, aus dem Jahr 1614 habe ich im Rijksmuseum 2022 gesehen und es hat mich so interessiert, dass ich einige Details fotografiert habe (Reihe unten). Das Repro (oben) ist von der sensationell guten Website des Museums. Auf der Website gibt es dazu umfassende Informationen.
Kurztext dazu:
Die Seelenfischer von Adriaen Pietersz van de Venne, 1614, Öl auf Tafel, H 98,5 cm × B 187,8 cm
Im Jahr 1614 sind Politik und Religion untrennbar miteinander verbunden, wie auf diesem Gemälde sehr deutlich zu sehen ist. Auf der linken Seite sind protestantische Minister und Führer der Republik (darunter Maurice) zu sehen, auf der rechten Seite die Erzherzöge, die den Süden regieren, mit zahlreichen katholischen Geistlichen. Der Norden hat nach Ansicht des Malers eine vielversprechende Zukunft: Dort scheint die Sonne, die Bäume sind voller Blätter. Wer gerettet werden will, schwimmt besser zu einem protestantischen Boot.
Die Veröffentlichung von Kennzeichen erfolgt ausschließlich in künstlerisch-/dokumentarischem Zusammenhang und impliziert keinerlei weitere Konnotationen.
Anna Boyers Rücktrittsbrief:
„Ich bin als Lyrikredakteurin des New York Times Magazine zurückgetreten.
Der von den USA unterstützte Krieg des israelischen Staates gegen die Bevölkerung von Gaza ist kein Krieg für irgendjemanden. Es gibt keine Sicherheit in oder vor ihm, nicht für Israel, nicht für die Vereinigten Staaten oder Europa und vor allem nicht für die vielen jüdischen Menschen, die von denen verleumdet werden, die fälschlicherweise behaupten, in ihrem Namen zu kämpfen. Sein einziger Profit ist der tödliche Profit der Ölinteressen und der Waffenhersteller.
Die Welt, die Zukunft, unsere Herzen - alles wird durch diesen Krieg kleiner und härter. Es ist nicht nur ein Krieg der Raketen und Landinvasionen. Es ist ein andauernder Krieg gegen das palästinensische Volk, ein Volk, das sich jahrzehntelang gegen Besatzung, Zwangsumsiedlung, Entbehrungen, Überwachung, Belagerung, Inhaftierung und Folter gewehrt hat.
Da unser Status quo die Selbstdarstellung ist, besteht die wirksamste Form des Protests für Künstler manchmal darin, sich zu verweigern.
Ich kann nicht über Poesie schreiben inmitten der "vernünftigen" Töne derer, die uns an dieses unvernünftige Leiden gewöhnen wollen. Keine grässlichen Euphemismen mehr. Keine verbal gesäuberten Höllenlandschaften mehr. Keine kriegstreiberischen Lügen mehr.
Wenn diese Resignation ein Loch in den Nachrichten hinterlässt, das so groß ist wie ein Gedicht, dann ist das die wahre Gestalt der Gegenwart.“
Anne Boyer
Soul fishers and warmongers. What to do? How to live on? Amsterdam | NL; Vienna | AT – 1614-2022 (Repro ob.: © Rijksmuseum © PP – # 3012 – www.ewigesarchiv.at) I see images of bombed-out cities, the injured, the shattered, the survivors, and I cringe. Look? Look away? How do I deal with it? Do what? How do others deal with it? Where are the souls now?
A few days ago I posted the very courageous resignation letter from Anna Boyer, the literary editor of the New York Times Magazine (see below), whereupon I was accused of publishing “anti-Semitic crap”. Apart from the fact that the accusation is so absurd that I don’t even comment on it – it doesn’t matter what I am or what I think, given the current horrors and atrocities and destruction and wounded and dead. And it doesn’t change the fact that I ask myself the question every day: How to go on living? How to “deal” with these monstrous events?
I saw the painting “The Fishing for Souls” (De zielenvisserij / Fishing for Souls) by Adriaen Pietersz van de Venne from 1614 in the Rijksmuseum in 2022 and was so interested in it that I photographed some of the details (row below). The repro (above) is from the museum’s sensationally good website. There is extensive information on the website.
Short text:
The Soul Fishers by Adriaen Pietersz van de Venne, 1614, oil on panel, H 98.5 cm × W 187.8 cm
In 1614, politics and religion were inextricably linked, as can be seen very clearly in this painting. On the left are Protestant ministers and leaders of the Republic (including Maurice), on the right the archdukes ruling the South with numerous Catholic clergymen. According to the painter, the north has a promising future: the sun is shining there, the trees are full of leaves. If you want to be saved, you better swim to a Protestant boat.
The publication of licence plates takes place exclusively in an artistic/documentary context and does not imply any other connotations.
Anna Boyer’s letter of resignation:
“I have resigned as poetry editor of the New York Times Magazine.
The US-backed Israeli state’s war against the people of Gaza is not a war for anyone. There is no safety in or from it, not for Israel, not for the United States or Europe, and especially not for the many Jewish people who are vilified by those who falsely claim to be fighting on their behalf. Its only profit is the deadly profit of oil interests and arms manufacturers.
The world, the future, our hearts – everything is made smaller and harder by this war. It is not just a war of missiles and land invasions. It is an ongoing war against the Palestinian people, a people who have resisted occupation, forced displacement, deprivation, surveillance, siege, imprisonment and torture for decades.
Since our status quo is self-expression, sometimes the most effective form of protest for artists is to refuse.
I cannot write about poetry amidst the “reasonable” tones of those who want to acclimatise us to this unreasonable suffering. No more hideous euphemisms. No more verbally sanitised hellscapes. No more warmongering lies.
If this resignation leaves a hole in the news as big as a poem, then that is the true shape of the present.”
Anne Boyer