„Wien Fremdes Wien“ oder: „Bin ich ein islamophober Ausländerfeind geworden?“
Wien | AT · 2014–2024 (© PP · # 3250 · www.ewigesarchiv.at) Fotos oben: Geschäftsfassade, 1150 Wien, 2024; unten: Graffiti am Werkstättenhof, 1060 Wien, 2014
Dass ich einmal folgenden Text schreiben würde, hätte ich nie, wirklich nie von mir gedacht. Abgesehen davon, dass es mir Unbehagen bereitet, daran zu denken, dass ich möglicherweise einige nahe Freund*innen und Bekannte damit verstören werde, hoffe ich tatsächlich auf viel Gegenrede, darauf, dass meine Sichtweise korrigiert wird, ich auf falsche Beobachtungen und Annahmen hingewiesen werde. Dieser Text will nichts anderes sein als ein Versuch, mich bedrängende, stärker werdende Gedanken und Gefühle in Worte zu fassen, ihnen eine fragile Form zu geben. Ein Ansatz dazu, selber zu formulieren und zu reflektieren, was politische Parteien, die mir völlig fernstehen und deren Ansichten mir zutiefst zuwider sind, beständig ansprechen und für ihre Zwecke nützen – und was Parteien und auch Freund*innen und Bekannte, denen ich nahestehe, meinem Empfinden nach nicht ansprechen wollen und wozu sie aus unterschiedlichen Gründen nicht Stellung beziehen.
„Fremdes Wien“ ist der Titel einer Serie von Fotos, die die Fotografin und Künstlerin Lisl Ponger vor vielen Jahren im FALTER veröffentlicht hatte. Mit ihrer Super-8-Kamera war sie bei Feiern, Hochzeiten und anderen Veranstaltungen vieler „fremder“ Menschen, Volksgruppen und Nationen in Wien anwesend, Filmstills daraus wurden in einem Buch publiziert, Jahre später entstand daraus ein Film, der im Wien Museum gezeigt wurde. Lisl Ponger kenne ich seit vielen Jahren, ihre Fotografien und Filme schätze ich ungemein, wir haben einander auch immer wieder bei den „Donnerstags-Demos“ im Jahr 2000 gegen die FPÖVP-Koalition getroffen, die wir beide – unabhängig voneinander – lange dokumentiert haben.
Seit einiger Zeit wird in mir das Gefühl stärker, fast vorherrschend, ich selber wäre nun in Wien fremd, Wien ist mir fremd geworden. Mein Studio ist im 6. Bezirk in Gürtelnähe, wenn ich auf die Straße gehe zum Einkaufen oder einfach, wenn ich um den Häuserblock gehen will: ich höre nahezu „kein deutsches Wort“ mehr, keine mir vertraute Sprache. Ja, ich weiß: die Phrase „ich höre kein deutsches Wort mehr“ IST abgedroschen – wenn mir etwas Besseres, Prägnanteres, Zutreffenderes einfallen wäre, hätte ich es hier eingesetzt. Vorschläge dazu sind willkommen. Wenn zwei oder mehrere Personen mitsammen gehen, Familien mit Kinderwagen und Kindern: die Worte, die ich im Vorbeigehen höre, verstehe ich nicht, sind mir fremd. Im nahen Umkreis eine Reihe von Döner- und Kebab-Imbissen, mindestens fünf „Barber-Shops“ mit regem Besuch von ausschließlich Männern.
„Schautanzen im Richard-Wagner-Park in Ottakring“.
Im Rahmen von Impulstanz, dem Vienna International Dance Festival, wurden „public moves“ angeboten, kostenlos und ohne Voraussetzungen zugängliche Workshops an verschiedenen Locations für Tanz- und Bewegungsinteressierte, an denen ich die vergangenen Jahre oft teilgenommen hatte. Die Veranstaltungsorte waren das Museumsquartier, der Schwarzenbergplatz, die Papstwiese – heuer erstmals auch der Richard-Wagner-Park in Ottakring. Die Gegend war mir vertraut: als ich in den 1970-er Jahren nach Wien kam, wohnte ich in einer ehemaligen Schusterwerkstatt, einer Bassenawohnung in der Haberlgasse, ganz in der Nähe dieses Parks. Guter Grund, den ersten public-moves-Workshop dieses Jahres dort zu besuchen. Ankunft kurz vor Beginn, eine vorbereitete gelbe Fläche neben dem Gitterkasten, dicht besetzte Bänke, Mitarbeiter*innen von Impulstanz prüfen die Anmeldungen und verteilen Getränke. Zwei Security-Mitarbeiter (in den vergangenen Jahren hatte ich noch bei keiner Location Securities bemerkt) in heftigem Disput mit einer Gruppe „migrantischer Jugendlicher“ (Einschub: die aus Gründen der Kürze/Einfachheit/meiner Bequemlichkeit hier verwendeten Begriffe „migrantisch“, „migrantische Jugendliche“ können nach Belieben der geneigten/ungeneigten Leser*innen per autoreplace jederzeit gegen jeweils genehmere/als adäquater empfundene Worte/Worthülsen ausgetauscht werden. zB.: „Menschen* mit nicht-deutscher Muttersprache“ oder „Österreicher*innen mit migrantischem Hintergrund“ oder was auch immer). Geschrei und Gezerre, die abziehenden Jugendlichen bedachten den Security-Mann (selbst „migrantischen Hintergrundes“) mit herausgeschrieenen Worten wie „Deine Mutter ist eine Hure!“ etc. Kurz nachher, nicht einsehbar von meinem Standpunkt, hinter einer Baumgruppe Geräusch einer Schlägerei, einer Auseinandersetzung, eines Handgemenges. Bald Rettung, Polizeieinsatz. Ein markanter, ungewöhnlicher Auftakt. Der Workshop selber: die Teilnehmer*innen in diversen Varianten von leichter Kleidung, Leggins, Sporthosen, T-Shirts etc. – rundum feixende „migrantische“ Jugendliche. Schautanzen im Ottakringer-Beserlpark-Zoo. Ein eindrückliches Erlebnis sicher nicht nur für mich.
Was ist los mit mir, frage ich mich? Was beunruhigt mich so, was verunsichert mich so tiefgehend?
Ich bin professioneller Grafiker, Künstler, Gründer des sogenannten Ewigen Archivs, einer „dynamischen Enzyklopädie zeitgenössischer Realitäten“ und Betreiber der umfangreichen Website www.ewigesarchiv.at, auf der zahlreiche Beobachtungen und Einträge zu Wien und den Veränderungen der Stadt zu finden sind. Im Jahr 2015, während der großen Flucht-/Migrationsbewegung habe ich viele Male mehrere Wochen lang am Hauptbahnhof Wien bei der von Freiwilligen organisierten Hilfsbewegung „Train of Hope“ engagiert mitgearbeitet. Vor Jahren für eine afghanische Familie, deren krankes Kind gestorben war, nachdem unter unglaublicher Umständen in der Flüchtlingsunterkunft keine ärztliche Hilfe zu bekommen, eine Unterstützungs- und Spendeninitiative gestartet. Ich führe das als eine Art „Ehrenrettung“ für mich an, weil ich sehr wohl weiß, dass das, was ich anspreche in „meinen Kreisen“ nicht gerne gehört, gelesen und besprochen wird. Ein zu gefährliches Terrain, zu schnell der Vorwurf der Islamophobie und Fremdenfeindlichkeit im Raum.
Und jetzt? Jetzt scheine ich selbst Hoffnung verloren zu haben – Hoffnung auf ein gutes Mit- zumindest Nebeneinander. U-Bahn-Linien wie die U6, auf der nicht nur ich ungern fahre, Gedanken an den islamistischen Terroranschlag vor einigen Jahren (wann war der jetzt? Schon vergessen??), die Absage eines Konzertes wegen ernstzunehmendem Plan eines Selbstmordanschlages, Freundinnen, die nicht mehr abends in Parks an Gruppen „migrantischer Jugendlicher“ vorbeigehen, ihnen begegnen wollen. Unbehagen macht sich – wohl nicht nur in mir – breit. Eine befreundete Ärztin erzählt mir von einem früheren Patienten, der in ein anderes Bundesland gezogen sei, weil es ihm für seine beiden Töchter, die in die Volksschule gehen, in Wien zu gefährlich scheint. Vorfälle von schweren Messerstechereien zwischen tschetschenischen und syrischen Jugendbanden.
Was ich selber öfter erlebt habe, ist das Verhalten von migrantischen Jugendlichen in Gruppen – in der U-Bahn, Straßenbahn, auf der Straße, auf öffentlichen Plätzen, in Parks: Meinem Empfinden nach vielfach rücksichtslos, arrogant, demonstrativ laut. Bitten um Zurückhaltung werden höhnisch kommentiert. Nein – natürlich nicht alle! Aber viele, oft selbst erlebt.
Das alles nur Fragmente eines weitgreifenden Unbehagens, das ganz offensichtlich nicht nur mich erfasst hat. Welche Maßnahmen hat die Politik auf Lager? Welche Partei werde ich wählen? Klar – mit meinem Hintergrund denke ich nicht mal in den tiefsten Depressionen und Alpträumen daran, Parteien wie die FPÖ zu wählen. Aber: habe ich jemals von Parteien bzw politischen Gruppierungen, die mir zumindest ansatzweise nahe stehen, irgendwelche Kommentare gelesen oder gehört, wie sie zu diesem tiefgreifenden Wandel stehen? Oder Vorschläge gehört, wie den schwierigen Seiten der massiven Veränderung zu begegnen sei?
Ja – es ist sauschwer, dieses Unbehagen zu formulieren, keine/r will als fremdenfeindliche/r Reaktionär*in gesehen werden – aber andererseits: was ist die Alternative? Schweigend zusehen, Ärger, Kummer und Angst negieren? Nicht mehr auf die Straße gehen? Aus Wien fortziehen?
“Vienna Foreign Vienna” or: ”Have I become an Islamophobic xenophobe?”
Vienna | AT – 2014-2024 (© PP – # 3250 – www.ewigesarchiv.at) Photos above: Store front, 1150 Vienna, 2024; below: Graffiti on the Werkstättenhof, 1060 Vienna, 2014
I would never, ever have thought that I would write the following text. Apart from the fact that it makes me uncomfortable to think that I might upset some close friends and acquaintances with it, I actually hope for a lot of counter-speech, that my view will be corrected, that I will be pointed out to wrong observations and assumptions. This text aims to be nothing more than an attempt to put into words thoughts and feelings that are troubling me and becoming stronger, to give them a fragile form. An attempt to formulate and reflect on what political parties, which are completely distant from me and whose views I find deeply repugnant, constantly address and use for their own purposes – and what parties and also friends and acquaintances with whom I am close do not want to address in my opinion and what they do not take a stand on for various reasons.
“Strange Vienna” is the title of a series of photos that the photographer and artist Lisl Ponger published in FALTER many years ago. With her Super 8 camera, she was present at celebrations, weddings and other events of many “foreign” people, ethnic groups and nations in Vienna, film stills from which were published in a book, and years later a film was made from them, which was shown in the Wien Museum. I have known Lisl Ponger for many years, I appreciate her photographs and films immensely, we also met again and again at the “Thursday demos” in 2000 against the FPÖ-VP coalition, which we both documented – independently of each other – for a long time.
For some time now, I have had a stronger, almost predominant feeling that I myself am now a stranger in Vienna, that Vienna has become a stranger to me. My studio is in the 6th district near the Gürtel, when I go out on the street to go shopping or simply when I want to walk around the block: I hear almost “no German word” anymore, no language I am familiar with. Yes, I know: the phrase “I don’t hear a German word anymore” IS trite – if I could have thought of something better, more concise, more accurate, I would have used it here. Suggestions are welcome. When two or more people walk together, families with baby carriages and children: I don’t understand the words I hear as I walk past, they are foreign to me. There are a number of kebab and kebab snack bars in the immediate vicinity, at least five barber stores that are frequented exclusively by men.
“Show dancing in Richard Wagner Park in Ottakring”.
As part of Impulstanz, the Vienna International Dance Festival, “public moves” were offered, free and open workshops at various locations for people interested in dance and movement, which I had often attended in previous years. The venues were the Museumsquartier, Schwarzenbergplatz, Papstwiese – and this year, for the first time, Richard Wagner Park in Ottakring. I was familiar with the area: when I came to Vienna in the 1970s, I lived in a former cobbler’s workshop, a Bassena apartment in Haberlgasse, very close to this park. A good reason to attend the first public-moves workshop of the year there. Arrival shortly before the start, a prepared yellow area next to the grid box, densely occupied benches, Impulstanz staff checking registrations and handing out drinks. Two security staff (I had never noticed securities at any location in previous years) in a heated dispute with a group of “migrant youths” (insertion: the terms “migrant”, “migrant youths” used here for reasons of brevity/simplicity/my convenience can be exchanged at any time for words/word phrases that are more appropriate/perceived as more adequate at the discretion of the inclined/uninclined reader via autoreplace. e.g.: “people* with a non-German mother tongue” or “Austrians* with a migrant background” or whatever). Screaming and shouting, the young people who were leaving were shouting words at the security man (himself of “migrant background”) such as “Your mother is a whore!” etc. Shortly afterwards, out of sight from where I was standing, behind a group of trees, the sound of a fight, an argument, a scuffle. Soon rescue, police intervention. A striking, unusual start. The workshop itself: the participants in various types of light clothing, leggings, sports shorts, T-shirts, etc. – all around “migrant” young people celebrating. Show dancing in the Ottakringer-Beserlpark zoo. An impressive experience, and certainly not just for me.
What’s wrong with me, I ask myself? What worries me so much, what unsettles me so deeply?
I am a professional graphic designer, artist, founder of the so-called Eternal Archive, a “dynamic encyclopaedia of contemporary realities” and operator of the extensive website www.ewigesarchiv.at, where you can find numerous observations and entries about Vienna and the changes in the city. In 2015, during the great refugee/migration movement, I worked many times for several weeks at Vienna Central Station with the “Train of Hope” aid movement organized by volunteers. Years ago, I started a support and donation initiative for an Afghan family whose sick child had died after being unable to get medical help in the refugee accommodation under unbelievable circumstances. I cite this as a kind of “salvation of honor” for myself, because I know very well that what I am talking about is not something that people in “my circles” like to hear, read and discuss. It’s too dangerous a terrain, too easy to be accused of Islamophobia and xenophobia.
And now? Now I seem to have lost hope myself – hope for a good coexistence at least. Subway lines like the U6, which I’m not the only one who doesn’t like to travel on, thoughts of the Islamist terrorist attack a few years ago (when was that? Have you forgotten??), the cancellation of a concert due to serious plans for a suicide attack, friends who no longer want to walk past groups of “migrant youths” in parks in the evening and meet them. Discomfort spreads – probably not only in me. A doctor friend of mine tells me about a former patient who moved to another province because he felt it was too dangerous in Vienna for his two daughters, who go to elementary school. Incidents of serious stabbings between Chechen and Syrian youth gangs.
What I have often experienced myself is the behavior of migrant youths in groups – in the subway, streetcars, on the street, in public places, in parks: in my opinion, often inconsiderate, arrogant, demonstratively loud. Requests for restraint are met with derisive comments. No – not all of them, of course! But many, often experienced first-hand.
These are all just fragments of a far-reaching unease that has obviously not just affected me. What measures do politicians have in store? Which party will I vote for? Sure – with my background, I don’t even think about voting for parties like FPÖ in my deepest depressions and nightmares. But: have I ever read or heard any comments from parties or political groups that are at least somewhat close to me about how they feel about this profound change? Or heard any suggestions on how to deal with the difficult aspects of this massive change?
Yes – it is extremely difficult to express this unease, no one wants to be seen as a xenophobic reactionary – but on the other hand, what is the alternative? Watching in silence, negating anger, grief and fear? Stop taking to the streets? Moving away from Vienna?