Tante Mitzi und Onkel Hans in ihrer Wohnung im Lassalle-Hof im 2. Bezirk. Ein „Serienportrait“. Wien | AT · 1977 (© PP · # 2569 · www.ewigesarchiv.at) Maria und Hans Deuwagner waren nicht „Tante“ und „Onkel“, wurden aber von meinen Geschwistern und mir zu Lebzeiten so genannt. Meine Großmutter Aloisia Promberger hatte Maria – immer und ausschließlich „Mitzi“ genannt – in Bad Schallerbach bei einem Kuraufenthalt kennengelernt, die beiden hatten sich angefreundet. Mitzi war aus „Böhmen“ als Dienstmädchen nach Wien gekommen und hatte später Hans Deuwagner geheiratet, einen Optikermeister. Nach wie vor berührt mich beim Anblick dieser Aufnahmen die ganz besondere Zuneigung der beiden zueinander, die auch bei diesen Fotos zum Ausdruck kommt. Sie wohnten im „Lassalle-Hof“, einem Gemeindebau des „Roten Wien“, in dem ich sie hin und wieder besuchte und in dem auch die SW-Fotos entstanden sind. Zugang zur Wohnung war von der Radingerstraße aus. Meiner Erinnerung nach schätze ich, dass die Wohnung rund 50 m2 groß war, Parkettböden, beheizt mit Kohleöfen. Rechts unten hat sich bei einem der Fotos mein Bruder Rupert dazugehockt. Interessant ist, dass offensichtlich während den Aufnahmen ein kleiner Rolltisch mit Nelken in einer Vase, Zeitungen, der Illustrierten „Stern“ und den Brillen dazugeschoben worden war.
Die Fotos von Maria und Hans Deuwagner sind Teil eines „Serienporträts“, das ich 1977 aufgenommen hatte: Mit einer 6 x 6 Rolleiflex (zweiäugig, mit 80 mm Planar-Optik) auf Stativ belichtete ich alle 12 möglichen Aufnahmen innerhalb einer kurzen Zeitspanne, ohne Veränderung des Bildausschnittes. Die Rolleiflex wurde mir 2014 bei einem Einbruch in mein Studio gestohlen, gemeinsam mit allen Nikons ua. Kameras. Zwischen 1974 und 1982 fertigte ich eine große Zahl dieser „Serienportraits“ an, angeregt von den Arbeiten von August Sander („Antlitz der Zeit“), Andy Warhol (ua. „Empire State Building“ uva.) und meines Großvaters Johann Promberger. Diese Werkgruppe wurde 1982 im Kulturhaus Graz ausgestellt, in den von Otto Breicha herausgegebenen „protokollen“ wurde folgender Text von mir veröffentlicht:
ÜBER EINEN DER VIELEN VERSUCHE, MENSCHEN ZU FOTOGRAFIEREN
Den Fotografen August Sander (1876—1964) und Johann Promberger (1886—1962), Werkmeister in der Saline Ebensee, gewidmet
Ich fotografiere so einfach wie möglich: Nachdem ich die auf einem Stativ befestigte Kamera derart aufgestellt habe, daß die betreffende Person möglichst zur Gänze im Sucher zu sehen ist, betätige ich in kurzer zeitlicher Abfolge so oft den Auslöser, bis der Filmstreifen vollständig belichtet ist.
Bildausschnitt und Kameraposition verändere ich während einer Serie nicht. Die entstandenen Negative werden ausschließlich kontaktkopiert — ich fertige keine Vergrößerungen an. Ich wähle also aus der Reihe vorliegender Aufnahmen nicht aus, da ich jede einzelne für gleichwichtig und gleichwertig halte. Es erfolgt keine Trennung, etwa in besonders „gelungene, charakteristische, gute... .‘“ und in „mißlungene, nichtssagende, schlechte . . .‘“ Fotos.
Das eigentliche Ergebnis entsteht erst aus dem gleichzeitigen, überschaubaren Nebeneinander der Einzelbilder.
Der zeitliche Zusammenhang, in dem die Aufnahmen stehen, wird nicht unterbrochen, sondern als wesentlicher Bestandteil sichtbar gemacht. Meine Arbeitsweise ist schematisch und vielleicht starr, aus dem Wunsch heraus, mich weitgehend aus der Darstellung der Person herauszuhalten. Da ich keine „‚Regieanweisungen“ gebe, stelle ich eine Filmlänge „zur freien Verfügung“. Die Serien können als Folge des stets gleichen Vorgehens gut einander gegenübergestellt werden, Veränderungen und Unterschiede treten deutlich hervor.
Insgesamt gesehen: Ein Versuch, zumindest einen Aspekt menschlichen Verhaltens — nämlich den vor einer „offensichtlichen‘‘ Kamera —vergleichbar herauszuarbeiten und darzustellen.
aus: protokolle (19)82/1
Aunt Mitzi and Uncle Hans in their apartment in Lassalle-Hof in the 2nd district. A “series portrait”. Vienna | AT · 1977 (© PP · # 2569 · www.ewigesarchiv.at) Maria and Hans Deuwagner were not “aunt” and “uncle”, but they were called that by my siblings and me during our lifetime. My grandmother Aloisia Promberger had met Maria – always and exclusively called “Mitzi” – in Bad Schallerbach during a spa stay, the two had become friends. Mitzi came to Vienna from Bohemia as a maid and later married Hans Deuwagner, a master optician. When I look at these photos, I am still touched by the very special affection between the two of them, which is also expressed in these photos. They lived in the “Lassalle-Hof”, a municipal building of “Red Vienna”, where I visited them from time to time and where the B/W photos were taken. Access to the apartment was from Radingerstrasse. From my recollection I estimate that the apartment was around 50 m2, parquet floors, heated with coal stoves. My brother Rupert has crouched down in one of the photos on the bottom right. It is interesting that a small rolling table with carnations in a vase, newspapers, the magazine “Stern” and the glasses had obviously been pushed in during the recording.
The photos of Maria and Hans Deuwagner are part of a “series portrait” that I took in 1977: With a 6 x 6 Rolleiflex (two-lens, with 80 mm planar optics) on a tripod, I exposed all 12 possible shots within a short period of time, without Change of the image section. The Rolleiflex was stolen from me in 2014 when my studio was broken into, along with all the Nikons, etc. cameras. Between 1974 and 1982 I made a large number of these “series portraits”, inspired by the works of August Sander (“The Face of Time”), Andy Warhol (including “Empire State Building” and many others) and my grandfather Johann Promberger. This group of works was exhibited in the Kulturhaus Graz in 1982. The following text was published by me in the “protokollen” edited by Otto Breicha:
ABOUT ONE OF THE MANY ATTEMPTS TO PHOTOGRAPH PEOPLE
Dedicated to the photographers August Sander (1876-1964) and Johann Promberger (1886-1962), foreman at the Ebensee saltworks
I take photographs as simply as possible: After I have set up the camera, which is mounted on a tripod, in such a way that the person in question can be seen as completely as possible in the viewfinder, I press the release button in quick succession until the film strip is completely exposed.
I do not change the image section and camera position during a series. The resulting negatives are exclusively contact copied — I do not make any enlargements. So I don’t choose from the series of available recordings, because I consider each one to be equally important and of equal value. There is no separation, for example into particularly “successful, characteristic, good … .'” and into “failed, meaningless, bad . . .'” Photos.
The actual result only emerges from the simultaneous, manageable juxtaposition of the individual images.
The temporal context in which the recordings are made is not interrupted, but made visible as an essential part. My way of working is schematic and perhaps rigid, out of a desire to stay largely out of the depiction of the person. Since I don’t give “director’s instructions”, I make a film length “at your free disposal”. As a result of always using the same procedure, the series can be easily compared with one another, and changes and differences emerge clearly.
Overall: An attempt to work out and present at least one aspect of human behavior – namely that in front of an “obvious” camera – in a comparable way.
from: protocols (19)82/1