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Robert Del Tredici: Die Bombe fotografieren – was mich weitermachen ließ

Robert Del Tredici: Photographing the Bomb – what kept me going

Schon vor den derzeit so gefürchteten dreifachen Kernschmelzen, den Verstrahlungen von verbrauchtem Brennstoff und den radioaktiven Dumpings im Ozean nach Fukushima gab es eine vollständige Kernschmelze und das Fallout von Tschernobyl (1986) und eine partielle Kernschmelze in Three Mile Island (1979).  Es war die geringste von diesen drei Katastrophen, die mich schließlich in den verführerischen Teufelskreis des gespalteten Atoms zog.  Einen Monat nach Three Mile Island ging ich, nur aus Neugier, zu den Städtchen und Dörfern rund um den noch glimmernden Reaktor.  Dann musste ich noch öfters zurück, schon aus Wut, da ich sah, wie die Menschen dort in Zeitlupe innerlich zerrissen wurden von einer Kraft, die genau so unsichtbar und bösartig wie ungeheuer war.  Ich spürte, wie die Radioaktivität, gleichsam einem neuen Gesetz der Schwerkraft folgend, über der Region absank und mit sich ein stilles Pandämonium und hunderte Arten von Herzleid mit sich brachte. Die Atomindustrie bemühte sich ihrerseits hartnäckig, ihren zerstörten Reaktor in Lügen zu hüllen.  

Nach Three Mile Island versuchte ich, mir vorzustellen, wie es auch für jene Menschen sein könnte, die im Schatten der noch älteren Reaktoren lebten, Reaktoren, die schon seit 30 Jahren Bombenstoff erzeugten.  Ich erfuhr, dass es in den Vereinigten Staaten zwölf Wasserstoff-Bombenfabriken gab, jede einzelne mit einer eigenen Aufgabe, alle zusammen mit einem Auswurf von durchschnittlich 6 neuen Bomben pro Tag.  Ich erfuhr weiter, dass der Luftraum unmittelbar über diesen Fabriken nicht gesperrt war – was hieß, ich konnte für 50 Dollar die Stunde einen örtlichen Pilot mit Flugzeug mieten und Luftaufnahmen schießen.  Außerdem fand ich heraus, dass jede dieser Produktionsstätten einen PR-Mann vor Ort hatte, dessen Aufgabe der Umgang mit Medienmenschen war. 

Ich wurde katholisch erzogen. Mit sechs Jahren, noch in der ersten Klasse, beschloss ich, Priester zu werden. Die Ausbildung trat ich schon mit vierzehn an. Diese dauerte zwölf Jahre. Nur acht davon habe ich es aushalten können. In meinem siebten Jahre fing es an, mir einzuleuchten, dass die Heilige Mutterkirche bis in den Kern verrottet war.  Ein Jahr später stolperte ich da heraus, meine Seele nur noch in Trümmern. Ich brauchte dann fast zwanzig Jahre, um mich zu erholen. Eine lange, sehr lange Zeit war mir, als hätte ich so etwas wie einen Block festen Treibstoffes in der Brust, der sich einfach nicht auflösen wollte. Und dann erschien mir in ihrer ungeheuren Bedeutung – die Bombe.

Der US-Atomwaffenkomplex hat einiges mit der römisch-katholischen Kirche gemeinsam.  Beide sind Hierarchien, auf deren Spitze der verborgene Unnennbare sitzt, der entweder retten oder vernichten kann.  Weder die eine noch die andere Institution wagt es, der Natur ihren freien Lauf zu lassen.  Alles wird durch Urteil geregelt, das – ohne Geschworene – ganz oben gefällt wird, und die Mächtigen da oben sind der festen Überzeugung, dass sie vollkommen Recht haben und immer vollkommen Recht haben werden bis zum furchtbaren, endgültigen Morgengrauen – und sie besitzen auch die Feuerkraft, dies zu beweisen. Und sie alle verwenden strahlende Symbole, um zu ihren versammelten Millionen zu sprechen, während sie Schleier und Masken und Flüche und Spiegel brauchen, um sich Meinungsverschiedenheiten zu widersetzen, Zweifel zu beruhigen und Gläubige zu begeistern.  

Dieser Verbindungen war ich mir noch nicht bewusst, als ich begann, hinter der Bombe herzujagen. Doch hatten einige der Aufnahmen, die ich in den ersten Jahren des Projekts schoss, etwas unheimlich Biblisches an sich. 

In jener Anfangszeit fotografierte ich Howard Morland, als er auf den Stufen vor dem United States Supreme Court stand und der Öffentlichkeit ein lebensgroßes Modell eines modernen H-Bombensprengkopfes zeigte. Beim Betrachten meines Fotos konnte ich nicht umhin, Moses auf dem Berg mit den Gesetzestafeln zu erkennen.  Als ich ein Foto von Richard Rhodes schoss, der eine Glaskugel in der Hand hielt, eigentlich einen von ihm erzeugten Briefbeschwerer in der genauen Größe der Plutoniumkugel, die sich in der Nagasakibombe befand, bekam ich ein Bild, das die Geschichte von Adam in Eden aufs Neue erzählte.  Während eines Streifzuges ungefähr 600 Meter über der Produktionsstätte am Savannah River schaute ich hinunter auf den „L“-Reaktor für Plutoniumerzeugung und sah das Spiegelbild einer mittelalterlichen Kathedrale.

Um alle zwölf H-Bombenfabriken auf Film festzuhalten, entschloss ich mich, mir so viel Zeit zu nehmen, wie ich mir eben nehmen musste.  Nehmen musste ich mir sechs Jahre.  Schon nach drei Jahren fingen Freunde an, mich zu fragen, wieso ich noch nicht ausgebrannt war.  Darauf hatte ich keine klare Antwort.  Aber je mehr ich daran dachte, desto deutlicher merkte ich, dass sich der große schwarze Block festen Treibstoffes, den ich in mir trug, schon lautlos von alleine angezündet hatte und langsam und ruhig vor sich hin brannte.  Und jedes Mal, bei dem es mir gelang, noch eine Fabrik zu erwischen, fühlte ich mich ein bisschen leichter. So begann mir bewusst zu werden, als ich schon die Hälfte des Projekts hinter mir hatte, dass ich im Begriff war, eine sehr alte Rechnung zu begleichen, und zwar ging es mir im Stillen darum, jene inspirierten Illusionen, jene subtilen Enttäuschungen und unverschämten Unwahrheiten zu enthüllen, die mich in so jungem Alter verzaubert hatten. Und jetzt wiederholte sich dasselbe, nur dass die Behörden nicht dieselben, das Spielfeld viel größer, die Strategie eine ähnliche aber die Mittel schon andere waren, und das alles drängt nun den ganzen verdammten Planeten auf einen Weg zur schnellen Vernichtung.

Robert Del Tredici fotografiert seit 1979 alle Aspekte des Nuklear-Zeitalters. Sein erstes Buch, The People of Three Mile Island, befasste sich mit außer Kontrolle geratener Kernkraft. Sein zweites, At Work in the Fields of he Bomb, dokumentierte die Atomwaffenindustrie der Vereinigten Staaten.  1987 gründete Del Tredici die Atomic Photographers Guild. Er hat das Atombomben-Programm der Sowjetunion dokumentiert und verfasste für das US Department of Energy drei Bücher, die sich mit der Sanierung des amerikanischen Kernwaffenkomplexes beschäftigten. Ausstellungen weltweit. Er lebt in Montreal, wo er Geschichte des Animationsfilms unterrichtet und die Atomindustrie weiter dokumentiert.

Before today’s dread triple meltdowns, spent fuel disintegrations, and oceanic radiation dumpings from Fukushima there was a full core meltdown and global fallout from Chernobyl, and a partial core meltdown at Three Mile Island. It was the least of these three nuclear catastrophes that pulled me into the charmed infernal circle of the fissioned atom. A month after TMI, I went, out of curiosity, to the towns around the smoldering reactor. I kept going back out of rage as I watched people getting turned inside out in slow motion by a force as invisible and malign as it was enormous. I felt radioactivity settling over the region like a new law of gravity, bringing with it quiet pandemonium and a hundred kinds of heartbreak. The nuclear industry, for its part, made every effort to smother its ruined reactor in lies.

After Three Mile Island I wondered what life might be like in the shadow of those other, older reactors that for 30 years had been making materials for the Bomb. I learned that the USA had twelve H-bomb factories, each one of which did something different, together turning out, on average, six new Bombs a day. I also learned that the air space directly over these plants was not restricted – so for $50 an hour I could rent a local pilot with plane and shoot aerials. I found out as well that each Bomb plant had a PR man on the ground whose job it was to interface with members of the press.

I was raised a Catholic. At 6 years old, in the first grade, 

I decided to become a priest. The training began at age 14. It lasted twelve years. I lasted eight. In my seventh year it began to dawn on me that my Holy Mother the Church was rotten to the core. One year later I staggered out of the place, a ruined soul. It took me nearly two decades to recover. For the longest time I felt that in my chest there was something like a solid block of rocket fuel that would never dissolve. Then I connected with the Bomb.

The US nuclear weapons complex has a few things in common with the Roman Catholic Church.

Both are hierarchies at whose peak sits the Hidden Ineffable One that can either save or destroy. In neither institution does nature take its course. Judgment, with no jury, settles matters from above by regimes that believe they are absolutely right and will remain right absolutely ’til the crack of doom – and they have the firepower to prove it. And both speak to their assembled millions in radiant symbols while using veils and masks and curses and mirrors to defy dissent, pacify doubt, and enthrall believers.

I was not aware of these connections when I went after the Bomb. Yet a number of pictures I shot in the first years of the project had an eerily Biblical quality.

When, early on, I photographed Howard Morland on the steps of the Supreme Court holding up his life-size model of the modern H-bomb warhead, my picture ended up being a dead ringer for Moses on the mountain with the tablets of the law. When I shot Richard Rhodes holding this glass paperweight he’d made to match the size of the ball of plutonium in the Nagasaki bomb, I got an image that told the story of Adam in Eden all over again. In an aerial foray 2,000 feet above the Savannah River Plant, I looked down onto the “L” plutonium-production reactor and saw the mirror-image of a medieval cathedral.

I decided that to capture all twelve H-bomb factories, I would take whatever time it needed. It took six years. By the time I was three years into it, friends began asking me why I wasn’t burning out. I did not have a clear answer. But as I thought about it, I noticed that my big black block of rocket fuel had silently self-ignited and was now burning slow and steady. And every time I nailed one more factory I felt a little lighter. So it was that halfway through the project I began to realize I was settling a very old score: lifting the curtain on the kinds of inspired illusions, subtle deceptions and outrageous falsehoods that had held me spellbound at an early age. It was happening again, only now it was through a different agency, on a vaster playing field, with a similar strategy but other means, and it was putting on a fast track to extinction the whole damn planet.  

 

Robert Del Tredici has been photographing the nuclear age since 1979. His first book, The People of Three Mile Island, explored nuclear power gone awry. His second, At Work in the Fields of the Bomb, documented the US nuclear weapons industry. In 1987 Del Tredici founded The Atomic Photographers Guild. He has documented the Soviet Bomb program and produced three books for the US Department of Energy on the clean-up of the US nuclear weapons complex. He has exhibited internationally and lives in Montreal, where he teaches Animation and documents the nuclear industry.