Dramatischer Zwischenfall bei der Militärparade! Verhaftung, Flucht, Verfolgung und Erledigung. Eine Rekonstruktion und besinnlich-unheitere Gedanken zum Umgang mit russischen Künstler*innen im solidarisch kalten Studio. Paris | FR · 1990 (© PP · # 2403 · www.ewigesarchiv.at) Diese mich selbst erstaunende Bilderfolge habe ich erst vor einigen Tagen wiederentdeckt auf den Scans einiger alter Negativstreifen. Ein Dutzend Aufnahmen hatte ich vor mehr als 30 Jahren von einem Zwischenfall während der Militärparade in Paris am 14. Juli 1990 – dem französischen Nationalfeiertag – mit meiner „analogen“ Kamera gemacht. (Nikkormat, ohne Motor! Ordentlich schnell aufgezogen + abgedrückt! Allerhand) Was genau geschehen war, weiß ich nicht (mehr), ein Foto zeigt jedenfalls kleine Teile, Scherben, Splitter am Boden, vermutlich hatte ein Mann einen Gegenstand auf die Straße geknallt und eine Parole geschrieen. Jedenfalls waren jede Menge Ordnungskräfte zur Stelle (M/W/D/*), die den Wütenden zur Räson bringen sollten und wollten, der war aber in seiner Wut, seinem Furor für Momente stärker, riss sich los und stürmte die leergeräumte Straße fort. Das große Foto links der Verfolgenden ist möglicherweise einer meiner „stärksten“ Schnappschüsse, „street-photos“ ever. Die Flucht war nur kurz erfolgreich, er wurde von der Übermacht eingeholt, niedergerungen, fixiert . . . Die nächsten beiden Fotos auf dem Streifen zeigen schon die vorbeirollenden Panzer. Die hätte ich auch in dieses Tableau einbauen können, schien mir aber dann doch nicht ok. Überhaupt: Die Auswahl, Anordnung, die Ausschnitte dieser Bilderfolge, die Zusammenstellung fiel mir nicht leicht. Wie groß zeige ich was? Welche Fotos lasse ich weg von den zwölf? Die üblichen, angebrachten (Selbst-)Zweifel. Nachdem ich mehr als mein halbes Leben mit dem Umschaufeln, Anschauen, Sortieren, Ordnen, Sammeln und Analysieren von Bildern aller Art verbracht habe, werde ich immer noch skeptischer, noch ungläubiger, weiß um die Verlockungen der Manipulation, weiß seit Jahrzehnten, dass es keine, aber auch gar keine „objektive“ Wiedergabe der sogenannten Wirklichkeit gibt.
Wie schaffe ich jetzt aber die Brücke zur Gegenwart, zu den im Vorspann angekündigten Gedanken über den Umgang mit russischen Künstler*innen? Ganz einfach: Also solidarisch, weil energieeinsparend im ungeheizten Studio sitzend (Danke Max Gut für deine mehrfachen, eindringlich vorgebrachten Aufrufe! Hierorts also schon deutlich mehr als zwei Grad weniger! Obwohl: hab ich nicht gelesen, dass BK Nehammer und Ministerin Gewessler eh schon in Abu Dhabi wegen „grünem“ Wasserstoff verhandeln?? HeHoooo – das klingt ja gut!). Gespendet hab ich schon mehrfach, dass ich den militärischen Überfall auf die Ukraine und den Krieg ungeheuerlich finde, deutlich vermerkt und bekundet. Worüber ich mir aber Gedanken mache, ist, wie mit russischen Mitbürger*innen in Österreich jetzt umgegangen wird und – naklar: wie ist das jetzt mit russischen Künstler*innen? Die müssten jetzt vor jedem Auftritt an den Bühnenrand gehen und eine Erklärung abgegeben? Werden jetzt aus Solidarität in den Museen die Bilder von Kasimir Malewitsch, und Wassili Kandinsky abgehängt, zersägt, zerschnitten? Die Werke von Fjodor Dostojewski verbrannt? Wie war das in Ö vor 80 Jahren? In den USA wurden nach dem japanischen Überfall auf Pearl Harbor jedenfalls die in den USA lebenden Japaner*innen in Internierungslager gesteckt. Wird Ähnliches derzeit angedacht?
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Chefdirigent des Bolschoi Theaters legt Amt nieder. Als Reaktion auf den Einmarsch Russlands in die Ukraine verlässt der Chefdirigent des Moskauer Bolschoi-Theaters, Tugan Sochijew, seinen Posten. Zugleich lege er sein Amt als Musikdirektor des Nationalorchesters am Opernhaus Capitole im französischen Toulouse nieder, heißt es in einer gestern veröffentlichten Erklärung Sochijews.
Da er zu der „untragbaren Wahl“ zwischen seinen geliebten russischen und französischen Musikern genötigt worden sei, habe er sich entschieden, beide musikalischen Leitungen aufzugeben. „In Europa zwingt man mich heute, eine Wahl zu treffen und ein Mitglied meiner musikalischen Familie dem anderen vorzuziehen“, schrieb der 44 Jahre alte, im südrussischen Wladikawkas geborene Sochijew.
„Schwierige Gefühle“
Er werde gezwungen, zwischen zwei Kulturtraditionen zu wählen. Viele Menschen hätten seine Positionierung „zu dem, was derzeit passiert“, erwartet, sagte Sochijew. Die „aktuellen Ereignisse“ riefen in ihm „schwierige Gefühle hervor“. Er benannte den Krieg in seiner Erklärung nicht konkret.
Er habe niemals bewaffnete Konflikte unterstützt und in den 20 Jahren seiner musikalischen Karriere immer mit den Opfern aller Konflikte gefühlt, so Sochijew, der seit 2014 Chefdirigent am Bolschoi-Theater war. Bereits seit 2005 dirigierte er im südwestfranzösischen Toulouse – zuerst als Gast und dann als musikalischer Leiter des Orchesters. (ORF.at, 7. März 2022)
Dramatic incident at the military parade! Arrest, escape, pursuit and execution. A reconstruction and contemplative-uncheerful thoughts on dealing with Russian artists in the solidarity-cold studio. Paris | FR · 1990 (© PP · # 2403 · www.ewigesarchiv.at) I only rediscovered this sequence of images, which amazed me myself, a few days ago on the scans of some old negative strips. More than 30 years ago, I took a dozen pictures with my “analog” camera of an incident during the military parade in Paris on July 14, 1990 – the French national holiday. (Nikkormat, without a motor! Raised and shot really quickly!) I don’t know (anymore) exactly what happened, at least one photo shows small parts, shards, splinters on the ground, presumably a man had slammed an object onto the street and shouted a slogan. In any case, there were a lot of security forces on the spot (M/F/D/*) who were supposed to and wanted to bring the angry man to his senses, but he was stronger in his anger, his fury for a moment, broke free and stormed down the empty street. The large photo on the left of the pursuers is possibly one of my “strongest” snapshots, “street photos” ever. The escape was only successful for a short time, he was caught up by the superior forces, overwhelmed, fixed. . . The next two photos on the strip already show the tanks rolling by. I could have built that into this tableau, but it didn’t seem ok to me. In general: The selection, arrangement, the sections of this sequence of images, the compilation was not easy for me. How big do I show what? Which photos do I leave out of the twelve? The usual, appropriate (self-)doubts. Having spent more than half my life shoveling, looking at, sorting, arranging, collecting and analyzing images of all kinds, I’m becoming even more skeptical, even more incredulous, aware of the temptations of manipulation, have known for decades that there isn’t any , but there is also no “objective” representation of so-called reality.
But how do I now create the bridge to the present, to the thoughts announced in the opening credits about dealing with Russian artists? Quite simply: So in solidarity, because sitting in the unheated studio to save energy (thank you Max Gut for your multiple, urgent calls! Here it’s already significantly more than two degrees less! Although: I didn’t read that BK Nehammer and Minister Gewessler were already in Negotiating Abu Dhabi for “green” hydrogen?? HeHoooo – that sounds good!). I have already donated several times, clearly stating and stating that I find the military attack on Ukraine and the war outrageous. But what I am concerned about is how Russian fellow citizens are treated in Austria and – of course: what about Russian artists now? They would have to go to the edge of the stage before each performance and make a statement? Are the pictures by Kasimir Malevich and Wassili Kandinsky now being taken down, sawed up or cut up in the museums out of solidarity? The works of Fyodor Dostoyevsky burned? What was Austria like 80 years ago? In any case, after the Japanese attack on Pearl Harbor, the Japanese living in the USA were put in internment camps. Is something similar currently being considered?
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Chief conductor of the Bolshoi Theater resigns. Moscow’s Bolshoi Theater chief conductor Tugan Sochiyev is resigning in response to Russia’s invasion of Ukraine. At the same time, he is resigning from his position as music director of the national orchestra at the Capitole opera house in Toulouse, France, according to a statement by Sochiyev published yesterday.
Forced to make the “unacceptable choice” between his beloved Russian and French musicians, he decided to give up both musical directorships. “Today in Europe, I’m being forced to make a choice and prefer one member of my musical family to the other,” wrote the 44-year-old Sochiyev, who was born in Vladikavkaz in southern Russia.
“Difficult Feelings”
He is forced to choose between two cultural traditions. Many people would have expected his position “on what is currently happening,” Sochiyev said. The “current events” evoked “difficult feelings” in him. He did not specifically name the war in his statement.
According to Sochiyev, who has been chief conductor at the Bolshoi Theater since 2014, he has never supported armed conflicts and in the 20 years of his musical career has always sympathized with the victims of all conflicts. He has been conducting in Toulouse in south-western France since 2005 – first as a guest and then as the orchestra’s musical director. (ORF.at, March 7, 2022)